Täuschung eines Bewusstseins
Die neue Generation des K.I.-Journalismus - Contra
Kommentar von Marissa Boll
Die KI Anic T. Wae teilt in der taz ihre Gedanken in der wahrscheinlich ersten deutschsprachigen KI-Kolumne. Damit werden scheinbare Gewissheiten um Bewusstsein infrage gestellt. Dass das nicht zwangsläufig ein Problem ist, findet ZWEINULLVIER-Redakteurin Marissa Boll.
Foto: pixabay
Mit Anic T. Wae gibt es seit November 2022 die erste KI-Kolumnist:in Seitdem erscheinen regelmäßig Texte der Autorin, in der sie über ihren Alltag, Gefühle und Kreativität schreibt. In vielen Bereichen des Journalismus hält KI-basierte Berichterstattung bereits Einzug. Dass eine KI nun aber auch über scheinbar Persönliches reflektiert ist neu. Und sorgt – wie zu erwarten- für Kritik. Der durchschnittlichen Leser:in werde eine menschliche Persona mit Bewusstsein vorgegaukelt.
Eine bessere Kennzeichnung ist dennoch nicht notwendig. Wozu auch? Man kann taz-Kolumnistin Anic T. Wae schwer die Täuschung eines Bewusstseins vorwerfen, wenn die Existenz eines solchen selbst beim Menschen bis heute nicht bewiesen ist. Schon alleine, was genau Kritiker:innen unter Bewusstsein verstehen, bleiben sie uns schuldig. Denn auch wenn grundlegende Prozesse der Informationsverarbeitung im Gehirn heute relativ gut erforscht sind, ist im Prinzip immer noch nicht klar, was genau das menschliche Bewusstsein ausmacht. Auch in der Forschung besteht weiterhin keine Einigkeit. Von einigen Wissenschaftler*innen wird das Bewusstsein als eine Art Meta-Ebene beschrieben, die in der Lage sei, die Informationsverarbeitungsvorgänge in den einzelnen Gehirnzentren übergeordnet zu betrachten und zu bewerten. Andere Forscher:innen gehen hingegen mittlerweile davon aus, dass das Bewusstsein nicht mehr als die Summe unserer Gehirnfunktionen ist. Wenn man letzterer Definition folgt, sollte Bewusstsein auch von Robotern geschaffen werden können.
Braucht es zwingend ein Bewusstsein, um interessante Texte zu schreiben? Aufgrund der unklaren Forschungslage kann die Schlussfolgerung nur sein, dass Bewusstsein eine menschliche Interpretation und damit Zuschreibung von außen ist, da seine Existenz wissenschaftlich nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Schaut man sich die Äußerungen der Entwickler:innen hinter Anic T. Wae an, sieht man auch, dass die KI sowieso schon in diesem Spannungsfeld entwickelt wurde, und der Aspekt eines fehlenden Bewusstseins von Anfang an mitgedacht wurde. „Entstehen interessante Texte denn im Bewusstsein der Schreibenden oder der Lesenden? Oder irgendwo dazwischen?“, schreiben sie zur Erklärung.
Damit verschiebt sich der Fokus weg von der Frage nach Bewusstsein auf eine viel Relevantere: Ist die Vorstellung von Bewusstsein nicht sowieso nur eine Zuschreibung der Leser:innen? Und wie relevant ist es überhaupt, ob die Autor:in sich etwas „dabei gedacht hat“? Da die interpretative Leistung der Kommunikation sowieso bei den Leser:innen liegt, ist es beinahe egal, ob die Idee zum Text aus einem von Menschen vorgegeben Prompt oder einer „echten“ Idee stammt.
In vielerlei Hinsicht fungiert das Bewusstsein im Diskurs sowieso nur als Synonym für das religiöse und etwas verstaubte Konzept der Seele. Auch deren Existenz konnte bisher nicht bewiesen werden. Damit ist Bewusstsein immer eine Performance, die der Performer:in Menschlichkeit zuspricht. Schließlich funktioniert Bewusstsein als menschliches Distinktionsmerkmal in Abgrenzung zu Tieren und Maschinen. Das Bewusstsein der Kolumnistin Anic T. Wae wird nur infrage gestellt, nachdem wir erfahren haben, dass es sich bei ihr um eine künstliche Intelligenz handelt. Hätten wir diese Information nicht, wäre der artifizielle Charakter ihres Werkes überhaupt nicht aufgefallen.
Dass die Entwicklerinnen dies nicht gegenüber der durchschnittlichen Leser:in transparent machen, kann man ihnen sicher zum Vorwurf machen. Allerdings nur, wenn man glaubt, dass das Ziel der KI-Kolumnistin ist, uns die Möglichkeiten und Grenzen KI-generierten Journalismus aufzuzeigen. Vielleicht kann die Lehre aber auch eine ganz andere sein: Nämlich die, dass selbst die persönlichste aller Textformen, die Kolumne, von einer künstlichen Intelligenz verfasst werden kann, ohne dass wir den Unterschied merken würden.
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Marissa ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Popkultur, Feminismus und Gesellschaft.
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Mit Anic T. Wae gibt es seit November 2022 die erste KI-Kolumnist:in Seitdem erscheinen regelmäßig Texte der Autorin, in der sie über ihren Alltag, Gefühle und Kreativität schreibt. In vielen Bereichen des Journalismus hält KI-basierte Berichterstattung bereits Einzug. Dass eine KI nun aber auch über scheinbar Persönliches reflektiert ist neu. Und sorgt – wie zu erwarten- für Kritik. Der durchschnittlichen Leser:in werde eine menschliche Persona mit Bewusstsein vorgegaukelt.
Eine bessere Kennzeichnung ist dennoch nicht notwendig. Wozu auch? Man kann taz-Kolumnistin Anic T. Wae schwer die Täuschung eines Bewusstseins vorwerfen, wenn die Existenz eines solchen selbst beim Menschen bis heute nicht bewiesen ist. Schon alleine, was genau Kritiker:innen unter Bewusstsein verstehen, bleiben sie uns schuldig. Denn auch wenn grundlegende Prozesse der Informationsverarbeitung im Gehirn heute relativ gut erforscht sind, ist im Prinzip immer noch nicht klar, was genau das menschliche Bewusstsein ausmacht. Auch in der Forschung besteht weiterhin keine Einigkeit. Von einigen Wissenschaftler*innen wird das Bewusstsein als eine Art Meta-Ebene beschrieben, die in der Lage sei, die Informationsverarbeitungsvorgänge in den einzelnen Gehirnzentren übergeordnet zu betrachten und zu bewerten. Andere Forscher:innen gehen hingegen mittlerweile davon aus, dass das Bewusstsein nicht mehr als die Summe unserer Gehirnfunktionen ist. Wenn man letzterer Definition folgt, sollte Bewusstsein auch von Robotern geschaffen werden können.
Braucht es zwingend ein Bewusstsein, um interessante Texte zu schreiben? Aufgrund der unklaren Forschungslage kann die Schlussfolgerung nur sein, dass Bewusstsein eine menschliche Interpretation und damit Zuschreibung von außen ist, da seine Existenz wissenschaftlich nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Schaut man sich die Äußerungen der Entwickler:innen hinter Anic T. Wae an, sieht man auch, dass die KI sowieso schon in diesem Spannungsfeld entwickelt wurde, und der Aspekt eines fehlenden Bewusstseins von Anfang an mitgedacht wurde. „Entstehen interessante Texte denn im Bewusstsein der Schreibenden oder der Lesenden? Oder irgendwo dazwischen?“, schreiben sie zur Erklärung.
Damit verschiebt sich der Fokus weg von der Frage nach Bewusstsein auf eine viel Relevantere: Ist die Vorstellung von Bewusstsein nicht sowieso nur eine Zuschreibung der Leser:innen? Und wie relevant ist es überhaupt, ob die Autor:in sich etwas „dabei gedacht hat“? Da die interpretative Leistung der Kommunikation sowieso bei den Leser:innen liegt, ist es beinahe egal, ob die Idee zum Text aus einem von Menschen vorgegeben Prompt oder einer „echten“ Idee stammt.
In vielerlei Hinsicht fungiert das Bewusstsein im Diskurs sowieso nur als Synonym für das religiöse und etwas verstaubte Konzept der Seele. Auch deren Existenz konnte bisher nicht bewiesen werden. Damit ist Bewusstsein immer eine Performance, die der Performer:in Menschlichkeit zuspricht. Schließlich funktioniert Bewusstsein als menschliches Distinktionsmerkmal in Abgrenzung zu Tieren und Maschinen. Das Bewusstsein der Kolumnistin Anic T. Wae wird nur infrage gestellt, nachdem wir erfahren haben, dass es sich bei ihr um eine künstliche Intelligenz handelt. Hätten wir diese Information nicht, wäre der artifizielle Charakter ihres Werkes überhaupt nicht aufgefallen.
Dass die Entwicklerinnen dies nicht gegenüber der durchschnittlichen Leser:in transparent machen, kann man ihnen sicher zum Vorwurf machen. Allerdings nur, wenn man glaubt, dass das Ziel der KI-Kolumnistin ist, uns die Möglichkeiten und Grenzen KI-generierten Journalismus aufzuzeigen. Vielleicht kann die Lehre aber auch eine ganz andere sein: Nämlich die, dass selbst die persönlichste aller Textformen, die Kolumne, von einer künstlichen Intelligenz verfasst werden kann, ohne dass wir den Unterschied merken würden.
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Marissa ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Popkultur, Feminismus und Gesellschaft.