Generation “Hier geboren”
Abgrenzung und die Suche nach Identität
Artikel von Alper Dinc
Die Generation “Hier geboren” befindet sich im Identitäts-Limbo. Zwischen Integration, Abgrenzung und der Bewahrung der eigenen Wurzeln suchen junge türkischstämmige Erwachsene nach einem Platz in der deutschen Gesellschaft. Dabei sind die Herausforderungen gerade für diese schwierig zu meistern. Eine Ode an die Selbstfindung.
Foto: Alper Dinc
Wir sprechen zuhause ausschließlich türkisch. Darauf haben meine Eltern immer großen Wert gelegt, bei der Erziehung meiner Brüder und meiner. Deutsch habe ich erst im Kindergarten gelernt. Meine Mutter sagte mir während meiner Jugend immer wieder, dass die Deutschen “anders” seien als die Türken. Sie hätten eine andere Kultur, anderes Essen, anderes Verhalten. Sie würden nicht zu uns passen. Ich wanderte ständig zwischen diesen gegensätzlichen Seiten, auf der Suche nach einer Lösung für mein Problem. Das Problem? Meine Identität. Ich wusste nicht, wer oder was ich bin.
Diese innere Zerrissenheit ist ein wiederkehrendes Thema, das viele junge Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland betrifft. Sie gehören zur Generation, wie ich sie nenne “Hier geboren”. Einer Generation, die in einem Zeitalter aufgewachsen ist, geprägt von Vielfalt und kultureller Vermischung. Sie sind die Brückenbauer zwischen ihren Eltern und der deutschen Gesellschaft, zwischen verschiedenen Kulturen und Traditionen. “Hier geboren, aber meine Eltern kommen aus der Türkei”, lautet die Antwort auf die Frage, die mir häufig gestellt wird: "Wo kommst du her? Nein, wo kommst du wirklich her?”. Ich hatte oft das Gefühl, für viele Deutsche immer noch als "Ausländer" zu gelten, konfrontiert mit stereotypischen Vorstellungen und Vorurteilen. Die Ironie dabei (und irgendwo auch das letzte Puzzle-Stück meines Identitätsproblems) ist, dass ich für die Türken in der Türkei eben kein Türke bin. Für sie bin ich Deutscher. Ein sogenannter “Almancı”. Der Eingedeutschte eben. In beiden Welten schien ich nicht vollständig willkommen.
Doch die Frage nach der eigenen Identität ist nicht nur eine persönliche Angelegenheit. Sie ist auch politisch und gesellschaftlich relevant. Denn während diese Generation nach einem Platz in der Welt sucht, wird sie mit den Auswirkungen der Migrationspolitik konfrontiert. Die Migrationsdebatte in Deutschland hat sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt und beeinflusst die Erfahrungen und das Selbstverständnis der Menschen mit Migrationshintergrund. In den 70er Jahren waren die türkischen Gastarbeiter willkommen, um den Arbeitskräftemangel zu lindern. Doch ihre Integration wurde meist vernachlässigt, und sie wurden oft als "Fremde" behandelt. Ein Teil dieser Gastarbeiter war mein Vater. Er kam 1971 nach Deutschland und begann in einer Fabrik zu arbeiten. Er erzählt mir, wie seine ersten Bekanntschaften damals, neben wenigen Griechen und Bulgaren, im Grunde genommen nur Türken waren, die auch frisch nach Deutschland kamen. Mein Vater schaffte nach knapp 10 Jahren den Sprung zu einer großen deutschen Bank im Nürnberger Stadtteil Gostenhof. Heute ist dieser Stadtteil durchgentrifiziert. Doch damals lebten dort nur Ausländer. Die Gebäude waren alt und die Mieten günstig. Obwohl er selbst kaum deutsch sprach, wurde er als Übersetzer eingestellt. Er übersetzte nicht nur für die Türken, sondern auch für die genannten Griechen, Bulgaren, Rumänen, etc. Wie er das ohne wirkliche Deutschkenntnisse angestellt hat, verstehe ich bis heute nicht. Der Witz an der Geschichte ist, dass mein Vater bei dieser Bank über 30 Jahre angestellt war und heute trotzdem nur gebrochenes deutsch spricht. Warum? Er war eben der Türke, der nur mit Ausländern arbeiten sollte. Kein Kontakt zum Rest der Gesellschaft. Mein Vater ist nur ein Beispiel für diese gefloppte Migrationspolitik, deren Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Die Betroffenen sind diejenigen, die versuchen, eine bessere Zukunft aufzubauen und gleichzeitig mit den Hürden einer Gesellschaft umzugehen, die sie manchmal immer noch als Menschen betrachten, die “Nicht von hier” sind.
In einer Welt, in der kulturelle Grenzen zunehmend verwischen und kulturelle Vielfalt immer präsenter wird, ist es an der Zeit, Vorurteile abzubauen und einander mit Offenheit und Respekt zu begegnen. Wir Hiergeborenen und die Hinzugezogenen tragen dazu bei, indem wir unsere Stimme erheben und uns für eine inklusive Gesellschaft einsetzen. Wir kämpfen für Gleichberechtigung und Chancengleichheit, für eine Gesellschaft, die jeden Einzelnen unabhängig von seiner Herkunft wertschätzt. Wenn ich mich mit meiner Mutter über Ihre erste Lebenszeit in Deutschland unterhalte, erzählt sie immer davon, wie unfassbar schwierig es war, ein Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Akzeptiert zu werden. Die große Welle der Ablehnung führte dazu, dass man sich eben Freunde suchte, die das eigene Leid teilten. Stichwort: soziale Segregation. Ich selbst hatte das Glück, nie Probleme damit gehabt zu haben, Freunde und Anschluss zu finden. Wenn ich aber jetzt darüber nachdenke, fällt mir schnell auf, dass bis auf ganz wenige Ausnahmen alle meine Freunde einen Migrationshintergrund aufweisen. Ist das jetzt Zufall? Liegt das daran, dass Deutschland heutzutage nunmal ein Einwanderungsland und somit “Multi-Kulti” ist? Ich weiß es nicht. Ist aber auch egal. Denn ich bin trotz allem, verdammt glücklich und dankbar hier sein zu dürfen. Wir Migrantenkinder haben hier viel gelernt. Wir haben gelernt, verschiedene Perspektiven zu verstehen und unsere eigenen Identitäten zu formen, die sowohl unsere kulturellen Wurzeln als auch unsere Erfahrungen in Deutschland umfassen. Es ist an der Zeit, die Diskussion über Identität und Migration auf eine positive und konstruktive Weise zu führen. Anstatt Menschen aufgrund ihres Hintergrunds zu stigmatisieren, sollten wir ihre Vielfalt als Bereicherung betrachten. Denn letztendlich sind wir alle Teil einer globalen Generation, die sich gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft stellt. Wir werden nicht aufhören, nach unserem Platz in dieser Welt zu suchen und uns für eine offene und inklusive Gesellschaft einzusetzen. In einer kulturell diversen Welt, sind wir diejenigen, die zeigen, dass wir alle mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben. Lasst uns die Grenzen überwinden und die Vielfalt feiern, die uns alle ausmacht. Denn nur so können wir eine Welt aufbauen, die für kommende Generationen gerecht und inklusiv ist.
Für meinen Teil kann ich sagen, dass ich nun mit 30 Jahren das Gefühl habe endlich angekommen zu sein. Denn ich habe gelernt, dass ich mich nicht für das eine oder das andere entscheiden muss. Wie der in Heidenheim geborene türkischstämmige Rapper Chefket schon sagte: “Ich hab' das Beste aus zwei Kulturen in mir vereint. Am plakativsten wär' jetzt ein Bild mit Spätzle und Çay”.
Wer hat diese Seite mit Inhalt gefüllt?
Alper ist 30 und studiert Technikjournalismus- /PR in Nürnberg. Er begeistert sich rund um das Thema der Kommunikation. Am liebsten mit Menschen. Bier mag er auch sehr.
Generation “Hier geboren”
Abgrenzung und die Suche nach Identität
Artikel von Alper Dinc
Die Generation “Hier geboren” befindet sich im Identitäts-Limbo. Zwischen Integration, Abgrenzung und der Bewahrung der eigenen Wurzeln suchen junge türkischstämmige Erwachsene nach einem Platz in der deutschen Gesellschaft. Dabei sind die Herausforderungen gerade für diese schwierig zu meistern. Eine Ode an die Selbstfindung.
Foto: Alper Dinc
Wir sprechen zuhause ausschließlich türkisch. Darauf haben meine Eltern immer großen Wert gelegt, bei der Erziehung meiner Brüder und meiner. Deutsch habe ich erst im Kindergarten gelernt. Meine Mutter sagte mir während meiner Jugend immer wieder, dass die Deutschen “anders” seien als die Türken. Sie hätten eine andere Kultur, anderes Essen, anderes Verhalten. Sie würden nicht zu uns passen. Ich wanderte ständig zwischen diesen gegensätzlichen Seiten, auf der Suche nach einer Lösung für mein Problem. Das Problem? Meine Identität. Ich wusste nicht, wer oder was ich bin.
Diese innere Zerrissenheit ist ein wiederkehrendes Thema, das viele junge Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland betrifft. Sie gehören zur Generation, wie ich sie nenne “Hier geboren”. Einer Generation, die in einem Zeitalter aufgewachsen ist, geprägt von Vielfalt und kultureller Vermischung. Sie sind die Brückenbauer zwischen ihren Eltern und der deutschen Gesellschaft, zwischen verschiedenen Kulturen und Traditionen. “Hier geboren, aber meine Eltern kommen aus der Türkei”, lautet die Antwort auf die Frage, die mir häufig gestellt wird: "Wo kommst du her? Nein, wo kommst du wirklich her?”. Ich hatte oft das Gefühl, für viele Deutsche immer noch als "Ausländer" zu gelten, konfrontiert mit stereotypischen Vorstellungen und Vorurteilen. Die Ironie dabei (und irgendwo auch das letzte Puzzle-Stück meines Identitätsproblems) ist, dass ich für die Türken in der Türkei eben kein Türke bin. Für sie bin ich Deutscher. Ein sogenannter “Almancı”. Der Eingedeutschte eben. In beiden Welten schien ich nicht vollständig willkommen.
Doch die Frage nach der eigenen Identität ist nicht nur eine persönliche Angelegenheit. Sie ist auch politisch und gesellschaftlich relevant. Denn während diese Generation nach einem Platz in der Welt sucht, wird sie mit den Auswirkungen der Migrationspolitik konfrontiert. Die Migrationsdebatte in Deutschland hat sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt und beeinflusst die Erfahrungen und das Selbstverständnis der Menschen mit Migrationshintergrund. In den 70er Jahren waren die türkischen Gastarbeiter willkommen, um den Arbeitskräftemangel zu lindern. Doch ihre Integration wurde meist vernachlässigt, und sie wurden oft als "Fremde" behandelt. Ein Teil dieser Gastarbeiter war mein Vater. Er kam 1971 nach Deutschland und begann in einer Fabrik zu arbeiten. Er erzählt mir, wie seine ersten Bekanntschaften damals, neben wenigen Griechen und Bulgaren, im Grunde genommen nur Türken waren, die auch frisch nach Deutschland kamen. Mein Vater schaffte nach knapp 10 Jahren den Sprung zu einer großen deutschen Bank im Nürnberger Stadtteil Gostenhof. Heute ist dieser Stadtteil durchgentrifiziert. Doch damals lebten dort nur Ausländer. Die Gebäude waren alt und die Mieten günstig. Obwohl er selbst kaum deutsch sprach, wurde er als Übersetzer eingestellt. Er übersetzte nicht nur für die Türken, sondern auch für die genannten Griechen, Bulgaren, Rumänen, etc. Wie er das ohne wirkliche Deutschkenntnisse angestellt hat, verstehe ich bis heute nicht. Der Witz an der Geschichte ist, dass mein Vater bei dieser Bank über 30 Jahre angestellt war und heute trotzdem nur gebrochenes deutsch spricht. Warum? Er war eben der Türke, der nur mit Ausländern arbeiten sollte. Kein Kontakt zum Rest der Gesellschaft. Mein Vater ist nur ein Beispiel für diese gefloppte Migrationspolitik, deren Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Die Betroffenen sind diejenigen, die versuchen, eine bessere Zukunft aufzubauen und gleichzeitig mit den Hürden einer Gesellschaft umzugehen, die sie manchmal immer noch als Menschen betrachten, die “Nicht von hier” sind.
In einer Welt, in der kulturelle Grenzen zunehmend verwischen und kulturelle Vielfalt immer präsenter wird, ist es an der Zeit, Vorurteile abzubauen und einander mit Offenheit und Respekt zu begegnen. Wir Hiergeborenen und die Hinzugezogenen tragen dazu bei, indem wir unsere Stimme erheben und uns für eine inklusive Gesellschaft einsetzen. Wir kämpfen für Gleichberechtigung und Chancengleichheit, für eine Gesellschaft, die jeden Einzelnen unabhängig von seiner Herkunft wertschätzt. Wenn ich mich mit meiner Mutter über Ihre erste Lebenszeit in Deutschland unterhalte, erzählt sie immer davon, wie unfassbar schwierig es war, ein Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Akzeptiert zu werden. Die große Welle der Ablehnung führte dazu, dass man sich eben Freunde suchte, die das eigene Leid teilten. Stichwort: soziale Segregation. Ich selbst hatte das Glück, nie Probleme damit gehabt zu haben, Freunde und Anschluss zu finden. Wenn ich aber jetzt darüber nachdenke, fällt mir schnell auf, dass bis auf ganz wenige Ausnahmen alle meine Freunde einen Migrationshintergrund aufweisen. Ist das jetzt Zufall? Liegt das daran, dass Deutschland heutzutage nunmal ein Einwanderungsland und somit “Multi-Kulti” ist? Ich weiß es nicht. Ist aber auch egal. Denn ich bin trotz allem, verdammt glücklich und dankbar hier sein zu dürfen. Wir Migrantenkinder haben hier viel gelernt. Wir haben gelernt, verschiedene Perspektiven zu verstehen und unsere eigenen Identitäten zu formen, die sowohl unsere kulturellen Wurzeln als auch unsere Erfahrungen in Deutschland umfassen. Es ist an der Zeit, die Diskussion über Identität und Migration auf eine positive und konstruktive Weise zu führen. Anstatt Menschen aufgrund ihres Hintergrunds zu stigmatisieren, sollten wir ihre Vielfalt als Bereicherung betrachten. Denn letztendlich sind wir alle Teil einer globalen Generation, die sich gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft stellt. Wir werden nicht aufhören, nach unserem Platz in dieser Welt zu suchen und uns für eine offene und inklusive Gesellschaft einzusetzen. In einer kulturell diversen Welt, sind wir diejenigen, die zeigen, dass wir alle mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben. Lasst uns die Grenzen überwinden und die Vielfalt feiern, die uns alle ausmacht. Denn nur so können wir eine Welt aufbauen, die für kommende Generationen gerecht und inklusiv ist.
Für meinen Teil kann ich sagen, dass ich nun mit 30 Jahren das Gefühl habe endlich angekommen zu sein. Denn ich habe gelernt, dass ich mich nicht für das eine oder das andere entscheiden muss. Wie der in Heidenheim geborene türkischstämmige Rapper Chefket schon sagte: “Ich hab' das Beste aus zwei Kulturen in mir vereint. Am plakativsten wär' jetzt ein Bild mit Spätzle und Çay”.
Wer hat diese Seite mit Inhalt gefüllt?
Alper ist 30 und studiert Technikjournalismus- /PR in Nürnberg. Er begeistert sich rund um das Thema der Kommunikation. Am liebsten mit Menschen. Bier mag er auch sehr.