„Ein schlechtes Gewissen habe ich schon“
Artikel von Yvonne Schmidt
Gerechtigkeit für alle Generationen - auch für die der Enkel. Das wollen Marlies und Alexandra. Bei "Omas for Future" und "Parents for Future" kämpfen sie für den Klimaschutz. Auf Demos sind sie mit der ganzen Familie unterwegs - über drei Generationen hinweg.
Foto: Privat
Der zweijährige Johann hält ein kleines, rotes Spielzeugauto in der Hand. „Er wurde in der falschen Generation geboren“, seufzt seine Mutter Alexandra. Beim Spielen hat er eine Vorliebe für Sportwägen. Doch Autofahren ist für Alexandra ein Privileg, das mit der Klimakrise nicht mehr vereinbar ist.
An einem Donnerstag Ende März sitzt in einem Wintergarten in Gohlis die komplette Familie zusammen. Drei Generationen wohnen hier zusammen – Oma Marlies, Tochter Alexandra und die vier Enkelkinder. Und gemeinsam engagieren sie sich für den Klimaschutz. Schon bei den ersten „Friday for Future“-Demos waren sie mit dabei.
Anschließend entschied sich Marlies, der Gruppe beizutreten. Das war 2019. „Damals waren es so sechs, sieben Leute. Heute sind wir über 20“, erzählt Marlies. Angesichts der Tatsache, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung in Leipzig über 60 Jahre alt ist, eine geringe Zahl. Marlies Tochter Alexandra (45) ist bei der Klimaschutzgruppe „Parents for Future“ aktiv. Ihre Kinder seien noch zu jung, um selbst aktivistisch zu sein, bei Demonstrationen seien sie aber immer mit dabei.
Foto: Leon Meckler
Im Leben der Familie wird rundum auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit geachtet. „Wir haben zwar noch ein altes Auto. Da müssen wir aber die Batterie abklemmen, weil wir so selten fahren“, erzählt Marlies. Als Fortbewegungsmittel nutzen sie das Fahrrad oder den ÖPNV, Fleisch gibt es nur ganz selten, der Rasen im Garten wird nicht künstlich bewässert, eingekauft werden nur Bio-Lebensmittel und Gemüse kommt aus dem eigenen Garten. In den Urlaub fliegen? Das geht heute nicht mehr.
„Die Oma war eigentlich Weltenbummlerin“, sagt Alexandra. „Ich bin um die halbe Welt gereist“, bestätigt Marlies. Mittelamerika, Thailand, China, USA, Ägypten, Südafrika. „Ein schlechtes Gewissen habe ich schon. Aber wir haben es nicht besser gewusst.“
Die eigene Freiheit für das Klima einschränken? Für viele eben nicht selbstverständlich, auch in Marlies Generation. „Viele denken, sie haben ihr ganzes Leben lang gearbeitet, und jetzt wollen sie das auch genießen“, sagt sie. Manche ihrer Freund:innen sagen, der Klimawandel sei nicht menschengemacht. Anfangs hätten sie noch darüber diskutiert. Zum Beispiel in einer Geburtstagsrunde, erinnert sich Marlies. „Da haben sie dich ganz schön runtergemacht“, wirft Alexandra ein.
„Wie kann einem das egal sein?“
Heute haben die Beiden kein Verständnis mehr für Fernreisen. Oder für einen Flug nach Ägypten, um dort im Hotel zu sitzen. „Die verzichten nicht, obwohl sie Enkel haben. Wie kann einem das egal sein?“ Alexandra schüttelt den Kopf. „Wenn die Klimakipppunkte da sind, dann ist es halt zu spät. Dass die Leute das sehenden Auges weiter so machen, das ist das Schlimme. Und das ist ungerecht gegenüber der anderen Generation.“
Auf Alexandras Schoß sitzt ihr jüngstes Kind Johann. Eine umweltbewusste Erziehung ist ihnen wichtig. Die Kinder sollen sensibilisiert, aber nicht verängstigt werden. „Wir sagen: Schützt die Insekten, wir machen den Garten ökologisch, wir sparen Plastik“, sagt Marlies. „Alles zum Klimawandel und seinen Folgen kann man denen gar nicht erzählen.“
Denn laut dem letzten Weltklimabericht (IPCC) ist die Prognose für die Zukunft eher düster, wenn der Klimaschutz wie bisher weiterläuft. Schon 2063 soll die Versorgung mit Trinkwasser und Grundnahrungsmitteln immer schwieriger werden. Bis 2083 steige der Meeresspiegel einen halben Meter an. Teile Norddeutschlands wären dann bereits unter Wasser. Viele Gegenden der Welt werden durch Hitze unbewohnbar, unzählige Menschen müssen vor den Klimafolgen fliehen.
Gerechtigkeit für alle Generationen
Wie kann man der jungen Generation also eine lebenswerte Zukunft hinterlassen? Marlies und Alexandra beschäftigt diese Frage sehr. Nach dem Prinzip der Generationengerechtigkeit müsste das heutige Handeln so nachhaltig sein, dass auch die Bedürfnisse kommender Generationen gedeckt werden.
Doch trotz der wachsenden Klimaschutz-Bewegung bleiben bei Marlies Zweifel. „Ich denke manchmal, dass wir das mit dieser Gesellschaft gar nicht hinkriegen“, zweifelt Marlies. „Eigentlich müsste die Macht der Konzerne eingeschränkt werden.“ Klimaschutz und Politik müsse Hand in Hand gehen.
Foto: Leon Meckler
Es bleibt die Angst um die Zukunft der eigenen Kinder. „Die Dürre macht mir Angst“, sagt Alexandra. „Johann ist gerade mal zwei Jahre alt. Wenn man sich die Prognosen für Ende des Jahrhunderts anschaut…“ Sie stockt.
Und dennoch: 100 Prozent alles richtig machen geht nicht, da sind sich beide einig. „Irgendwann willst du auch mal eine Mango essen“, fügt Marlies hinzu und lacht. Alexandra überlegt. “Letztendlich sind alle Menschen gleich und machen was sie können.“ Die Beiden geben trotz aller Prognosen nicht auf. Es gibt ja schließlich etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt: Die Zukunft ihrer Kinder.
Wer hat diese Seite mit Inhalt gefüllt?
Yvi ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Menschen und lokales Geschehen in Leipzig.
„Ein schlechtes Gewissen habe ich schon“
Artikel von Yvonne Schmidt
Gerechtigkeit für alle Generationen - auch für die der Enkel. Das wollen Marlies und Alexandra. Bei "Omas for Future" und "Parents for Future" kämpfen sie für den Klimaschutz. Auf Demos sind sie mit der ganzen Familie unterwegs - über drei Generationen hinweg.
Foto: Privat
Der zweijährige Johann hält ein kleines, rotes Spielzeugauto in der Hand. „Er wurde in der falschen Generation geboren“, seufzt seine Mutter Alexandra. Beim Spielen hat er eine Vorliebe für Sportwägen. Doch Autofahren ist für Alexandra ein Privileg, das mit der Klimakrise nicht mehr vereinbar ist.
An einem Donnerstag Ende März sitzt in einem Wintergarten in Gohlis die komplette Familie zusammen. Drei Generationen wohnen hier zusammen – Oma Marlies, Tochter Alexandra und die vier Enkelkinder. Und gemeinsam engagieren sie sich für den Klimaschutz. Schon bei den ersten „Friday for Future“-Demos waren sie mit dabei.
Foto: Leon Meckler
Omas for Future
Marlies ist 69 Jahre alt und von Beginn an bei der Leipziger Gruppe der „Omas for Future“ dabei. Auf die Idee kam sie durch einen Elternabend, bei dem Gründerin Cordula Weimann gemeinsam mit einer Wissenschaftlerin über den Klimawandel informierte.
Anschließend entschied sich Marlies, der Gruppe beizutreten. Das war 2019. „Damals waren es so sechs, sieben Leute. Heute sind wir über 20“, erzählt Marlies. Angesichts der Tatsache, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung in Leipzig über 60 Jahre alt ist, eine geringe Zahl. Marlies Tochter Alexandra (45) ist bei der Klimaschutzgruppe „Parents for Future“ aktiv. Ihre Kinder seien noch zu jung, um selbst aktivistisch zu sein, bei Demonstrationen seien sie aber immer mit dabei.
Im Leben der Familie wird rundum auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit geachtet. „Wir haben zwar noch ein altes Auto. Da müssen wir aber die Batterie abklemmen, weil wir so selten fahren“, erzählt Marlies. Als Fortbewegungsmittel nutzen sie das Fahrrad oder den ÖPNV, Fleisch gibt es nur ganz selten, der Rasen im Garten wird nicht künstlich bewässert, eingekauft werden nur Bio-Lebensmittel und Gemüse kommt aus dem eigenen Garten. In den Urlaub fliegen? Das geht heute nicht mehr.
„Die Oma war eigentlich Weltenbummlerin“, sagt Alexandra. „Ich bin um die halbe Welt gereist“, bestätigt Marlies. Mittelamerika, Thailand, China, USA, Ägypten, Südafrika. „Ein schlechtes Gewissen habe ich schon. Aber wir haben es nicht besser gewusst.“
Die eigene Freiheit für das Klima einschränken? Für viele eben nicht selbstverständlich, auch in Marlies Generation. „Viele denken, sie haben ihr ganzes Leben lang gearbeitet, und jetzt wollen sie das auch genießen“, sagt sie. Manche ihrer Freund:innen sagen, der Klimawandel sei nicht menschengemacht. Anfangs hätten sie noch darüber diskutiert. Zum Beispiel in einer Geburtstagsrunde, erinnert sich Marlies. „Da haben sie dich ganz schön runtergemacht“, wirft Alexandra ein.
„Wie kann einem das egal sein?“
Heute haben die Beiden kein Verständnis mehr für Fernreisen. Oder für einen Flug nach Ägypten, um dort im Hotel zu sitzen. „Die verzichten nicht, obwohl sie Enkel haben. Wie kann einem das egal sein?“ Alexandra schüttelt den Kopf. „Wenn die Klimakipppunkte da sind, dann ist es halt zu spät. Dass die Leute das sehenden Auges weiter so machen, das ist das Schlimme. Und das ist ungerecht gegenüber der anderen Generation.“
Auf Alexandras Schoß sitzt ihr jüngstes Kind Johann. Eine umweltbewusste Erziehung ist ihnen wichtig. Die Kinder sollen sensibilisiert, aber nicht verängstigt werden. „Wir sagen: Schützt die Insekten, wir machen den Garten ökologisch, wir sparen Plastik“, sagt Marlies. „Alles zum Klimawandel und seinen Folgen kann man denen gar nicht erzählen.“
Denn laut dem letzten Weltklimabericht (IPCC) ist die Prognose für die Zukunft eher düster, wenn der Klimaschutz wie bisher weiterläuft. Schon 2063 soll die Versorgung mit Trinkwasser und Grundnahrungsmitteln immer schwieriger werden. Bis 2083 steige der Meeresspiegel einen halben Meter an. Teile Norddeutschlands wären dann bereits unter Wasser. Viele Gegenden der Welt werden durch Hitze unbewohnbar, unzählige Menschen müssen vor den Klimafolgen fliehen.
Gerechtigkeit für alle Generationen
Wie kann man der jungen Generation also eine lebenswerte Zukunft hinterlassen? Marlies und Alexandra beschäftigt diese Frage sehr. Nach dem Prinzip der Generationengerechtigkeit müsste das heutige Handeln so nachhaltig sein, dass auch die Bedürfnisse kommender Generationen gedeckt werden.
Doch trotz der wachsenden Klimaschutz-Bewegung bleiben bei Marlies Zweifel. „Ich denke manchmal, dass wir das mit dieser Gesellschaft gar nicht hinkriegen“, zweifelt Marlies. „Eigentlich müsste die Macht der Konzerne eingeschränkt werden.“ Klimaschutz und Politik müsse Hand in Hand gehen.
Foto: Leon Meckler
Es bleibt die Angst um die Zukunft der eigenen Kinder. „Die Dürre macht mir Angst“, sagt Alexandra. „Johann ist gerade mal zwei Jahre alt. Wenn man sich die Prognosen für Ende des Jahrhunderts anschaut…“ Sie stockt.
Und dennoch: 100 Prozent alles richtig machen geht nicht, da sind sich beide einig. „Irgendwann willst du auch mal eine Mango essen“, fügt Marlies hinzu und lacht. Alexandra überlegt. “Letztendlich sind alle Menschen gleich und machen was sie können.“ Die Beiden geben trotz aller Prognosen nicht auf. Es gibt ja schließlich etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt: Die Zukunft ihrer Kinder.
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Yvi ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Menschen und lokales Geschehen in Leipzig.