Generation Beziehungs(un)fähig
Kolumne von Annika Franz
Selbstzentriert. Bindungsvermeidend. Verkorkst. So beschreiben Bestsellerautor:innen, Generationenforscher:innen und die, die es sein wollen, Menschen, die sich momentan in ihren Zwanzigern befinden. Zweinullvier-Redakteurin Annika sieht das anders.
Foto: Leon Meckler
Die Generation Beziehungsunfähig. Das sollen wir sein. Wir wollen uns nicht festlegen, weil wir immer auf etwas Besseres warten. Im Strudel der Selbstoptimierung gefangen. Unser Leben ist nämlich vor allem eins: ein Weg, der nur nach oben führt. Und dabei schauen wir weder nach links, noch nach rechts.
Stattdessen swipen wir nach links. Oder nach rechts. Unser Datingleben wird von Apps bestimmt, die nur dafür gemacht sein sollen, Menschen zu konsumieren und vor allem einen Überblick darüber zu haben, was der Markt sonst noch so zu bieten hat.
Das sollen wir sein. Generation Beziehungsunfähig.
Das stellen am liebsten Menschen fest, die gar nicht Teil unserer Generation sind. Sie stülpen uns dieses Bild einer Gesellschaft über, das bei ihnen selbst noch im Kopf festsitzt. Das Problem: Da sitzt auch noch ein ganz anderes Bild viel zu fest. Nämlich das einer heteronormativen, monogamen Beziehung. Aber wer möchte das schon zugeben? Obwohl, Moment, das Problem ist nicht mal zwingend hetero oder monogam. Ganz ehrlich, jede Person soll ihre Beziehung(en) genauso führen, wie sie das möchte. Das Problem liegt woanders: Die Vorstellung, dass sich das Leben darum dreht, eine Person zu finden, mit der wir den Rest der Zeit verbringen wollen. Ansonsten sind wir nicht vollständig, nicht ganz. Und sämtliche Modelle, die davon abweichen, sind entweder ein kurzweiliger Trend, Bindungsangst oder das Warten auf etwas Besseres. Kurz: Beziehungsunfähigkeit.
Für alles wird eine therapeutische Erklärung geliefert. Wer gerne viel Sex mit mehreren Menschen hat, leidet unter Selbstwertproblemen. Wer momentan gerne mit sich selbst sein möchte, hat schlimme Erfahrungen in der Kindheit gemacht und kann sich deswegen nicht öffnen. Und wer dann auch noch behauptet, mehrere Menschen zu lieben, ist sowieso komplett verloren. Das ist nur ein Symptom. Ein Symptom eines psychischen Problems, das noch nicht angegangen worden ist. Hört verdammt nochmal auf, uns zu analysieren. Das können wir selbst schon echt gut. Als eine der ersten Generationen, für die der Begriff Selbstreflektion kein Fremdwort mehr ist, machen wir das sowieso täglich. Manchmal auch zu viel.
Wir stellen uns diese Fragen auch. Was ist, wenn ich nicht dazu in der Lage bin, richtige Beziehungen zu führen? Kein Wunder, wenn wir ständig mit diesem Vorwurf konfrontiert werden. Wer legt denn fest, was richtig oder falsch ist? Die Herangehensweise würde ja implizieren, dass es einen Normalzustand gibt. Normalnull, wenn man so will. Alles andere weicht ab. Fällt auf. Und kann so nicht stimmen. Als würde ein Sensor ausschlagen und ein rotes Warnschild aufleuchten: Achtung, Achtung, nicht normkonform. Dabei ist das doch genau die Stärke unserer Generation. Wir kratzen an diesen eingerosteten Zuständen, anstatt sie einfach weiter zu verwenden. So lange, bis der Rost sich ganz tief gefressen und die Funktionsfähigkeit beeinträchtigt hat. Eingerostet beschreibt es eigentlich perfekt. Die Art, wie wir Beziehungen führen. Was es braucht, ist ein bisschen hochsäurehaltiger, potenter Rostentferner. Und der wurde unserer Generation in die Hand gedrückt.
Drei Jahre lang war ich der festen Überzeugung, starke Bindungsängste zu haben. Deswegen war ich Single. Und fand das ziemlich entspannt. Sich nicht binden zu müssen, bedeutete für mich Freiheit. Was für ein Quatsch. Ich war doch gebunden. Verbunden, besser gesagt. Mit so vielen Menschen um mich herum. Die Menschen aus meinem Umfeld, meiner WG, meiner Heimat, Menschen, die ich beim Reisen getroffen habe, in der Uni oder beim Feiern auf dem Klo. Alles Bindungen, manche langwieriger als die anderen, aber alles Bindungen. Und trotzdem war ich frei. Ich könnte das jetzt einordnen. Mit manchen hatte ich nämlich auch Sex. Oder hab geknutscht. Manchen habe ich tiefe Geheimnisse erzählt, andere um Rat für meine Steuererklärung gefragt. Familie, Freunde, One-Night-Stands, Relationship-Material? Es würde schon funktionieren, ich könnte jeder Person einen dieser Stempel aufdrücken. Und es ist auch viel einfacher so, zur Einordnung. So wissen andere Bescheid, in welchem Verhältnis ich zu wem stehe. Schließlich will ich nicht jedes Mal eine Stunde ausholen, um zu erklären wer Person XY ist. Hat auch niemand Zeit für.
Trotzdem stellt sich mir die Frage: Was war zuerst da, das Label oder die Labelbeschreibung? Für die Generationen vor uns funktioniert die Welt oft nun mal so: Familie, Freunde, Partner. Wir brechen das auf. Weil wir es wollen, und auch können. Mittlerweile flattern noch viel mehr Labels umher: Situationship, Freundschaft Plus, Ersatzfamilie. Ein Versuch, Nischen zu finden, in dem eingerosteten System. Aber auch wieder ein Versuch, die Dinge zu benennen. Wieso können wir nicht mit den Erwartungen und Wünschen starten, die wir gegenüber einer anderen Person haben. Und vielleicht auch mit den Ängsten. Das braucht viel Mut und Überwindung, aber es fühlt sich auch gut an. Darauf lässt sich besser aufbauen als auf einem Label.
Großes Aber: Kommunikation ist einfach verdammt hart. Und ganz ehrlich? Mir fällt es auch immer noch schwer. Aber ich bin ja auch Teil der Generation Beziehungsunfähig. Wie soll es anders sein? Sein Innerstes nach außen zu kehren ohne Rücksicht auf Verluste, das haben wir in der Kindheit und Jugend nicht gelernt. Wer hätte es uns beibringen sollen? Richtig, die Generationen vor uns. Mission failed. Danke dafür.
Letztes Jahr habe ich gelernt, dass gewisse Rahmenbedingungen, label, if you will, auch helfen können. Und ja, vor allem in zwischenmenschlichen Beziehungen, in der emotionale auf körperliche Anziehung trifft. Es hilft uns im Umgang miteinander. Aber ich will kein Wort dafür finden müssen. Nur damit andere wissen, was ich da veranstalte. Ich möchte mit der Person in den Austausch darüber treten, wie ich mir das Leben und alles drumherum vorstelle. Und wie sie es sich vorstellt. Und dann trifft man sich irgendwo. Wir können das, ich weiß das. Lasst unsere Generation so sein, wie sie eben ist. Zwischen sozialen Netzwerken, unendlich vielen Möglichkeiten und ständiger Überforderung.
No offense, ich bin mir sicher, dass Menschen aus anderen Generationen, die eher die „klassischeren“ Formen von Beziehungen führen, sich auch austauschen. Und darüber reden, was sie wollen. Aber unsere Generation hat das perfektioniert. Schließlich sind wir Selbstoptimierer. Das heißt aber nicht immer, dass wir einfach nur auf etwas Besseres warten. Sondern auch, dass wir versuchen, etwas Besseres zu schaffen, indem wir neu ansetzen. Da wo es wehtut. Da wo unsere Unsicherheiten sitzen.
Das, was uns anscheinend beziehungsunfähig macht, macht uns erst beziehungsfähig. Egal ob mit einer Person, mit mehreren Personen, zum Kuscheln, zum Vögeln, zum Kinder haben, zum zusammen Wohnen, zum Knutschen oder was auch immer. Wir kriegen das schon hin. Ehrlich.
Wer hat diese Seite mit Inhalt gefüllt?
Annika ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Klima, Popkultur und zwischenmenschliche Beziehungen.
Generation Beziehungs(un)fähig
Kolumne von Annika Franz
Selbstzentriert. Bindungsvermeidend. Verkorkst. So beschreiben Bestsellerautor:innen, Generationenforscher:innen und die, die es sein wollen, Menschen, die sich momentan in ihren Zwanzigern befinden. Zweinullvier-Redakteurin Annika sieht das anders.
Foto: Leon Meckler
Die Generation Beziehungsunfähig. Das sollen wir sein. Wir wollen uns nicht festlegen, weil wir immer auf etwas Besseres warten. Im Strudel der Selbstoptimierung gefangen. Unser Leben ist nämlich vor allem eins: ein Weg, der nur nach oben führt. Und dabei schauen wir weder nach links, noch nach rechts.
Stattdessen swipen wir nach links. Oder nach rechts. Unser Datingleben wird von Apps bestimmt, die nur dafür gemacht sein sollen, Menschen zu konsumieren und vor allem einen Überblick darüber zu haben, was der Markt sonst noch so zu bieten hat.
Das sollen wir sein. Generation Beziehungsunfähig.
Das stellen am liebsten Menschen fest, die gar nicht Teil unserer Generation sind. Sie stülpen uns dieses Bild einer Gesellschaft über, das bei ihnen selbst noch im Kopf festsitzt. Das Problem: Da sitzt auch noch ein ganz anderes Bild viel zu fest. Nämlich das einer heteronormativen, monogamen Beziehung. Aber wer möchte das schon zugeben? Obwohl, Moment, das Problem ist nicht mal zwingend hetero oder monogam. Ganz ehrlich, jede Person soll ihre Beziehung(en) genauso führen, wie sie das möchte. Das Problem liegt woanders: Die Vorstellung, dass sich das Leben darum dreht, eine Person zu finden, mit der wir den Rest der Zeit verbringen wollen. Ansonsten sind wir nicht vollständig, nicht ganz. Und sämtliche Modelle, die davon abweichen, sind entweder ein kurzweiliger Trend, Bindungsangst oder das Warten auf etwas Besseres. Kurz: Beziehungsunfähigkeit.
Für alles wird eine therapeutische Erklärung geliefert. Wer gerne viel Sex mit mehreren Menschen hat, leidet unter Selbstwertproblemen. Wer momentan gerne mit sich selbst sein möchte, hat schlimme Erfahrungen in der Kindheit gemacht und kann sich deswegen nicht öffnen. Und wer dann auch noch behauptet, mehrere Menschen zu lieben, ist sowieso komplett verloren. Das ist nur ein Symptom. Ein Symptom eines psychischen Problems, das noch nicht angegangen worden ist. Hört verdammt nochmal auf, uns zu analysieren. Das können wir selbst schon echt gut. Als eine der ersten Generationen, für die der Begriff Selbstreflektion kein Fremdwort mehr ist, machen wir das sowieso täglich. Manchmal auch zu viel.
Wir stellen uns diese Fragen auch. Was ist, wenn ich nicht dazu in der Lage bin, richtige Beziehungen zu führen? Kein Wunder, wenn wir ständig mit diesem Vorwurf konfrontiert werden. Wer legt denn fest, was richtig oder falsch ist? Die Herangehensweise würde ja implizieren, dass es einen Normalzustand gibt. Normalnull, wenn man so will. Alles andere weicht ab. Fällt auf. Und kann so nicht stimmen. Als würde ein Sensor ausschlagen und ein rotes Warnschild aufleuchten: Achtung, Achtung, nicht normkonform. Dabei ist das doch genau die Stärke unserer Generation. Wir kratzen an diesen eingerosteten Zuständen, anstatt sie einfach weiter zu verwenden. So lange, bis der Rost sich ganz tief gefressen und die Funktionsfähigkeit beeinträchtigt hat. Eingerostet beschreibt es eigentlich perfekt. Die Art, wie wir Beziehungen führen. Was es braucht, ist ein bisschen hochsäurehaltiger, potenter Rostentferner. Und der wurde unserer Generation in die Hand gedrückt.
Drei Jahre lang war ich der festen Überzeugung, starke Bindungsängste zu haben. Deswegen war ich Single. Und fand das ziemlich entspannt. Sich nicht binden zu müssen, bedeutete für mich Freiheit. Was für ein Quatsch. Ich war doch gebunden. Verbunden, besser gesagt. Mit so vielen Menschen um mich herum. Die Menschen aus meinem Umfeld, meiner WG, meiner Heimat, Menschen, die ich beim Reisen getroffen habe, in der Uni oder beim Feiern auf dem Klo. Alles Bindungen, manche langwieriger als die anderen, aber alles Bindungen. Und trotzdem war ich frei. Ich könnte das jetzt einordnen. Mit manchen hatte ich nämlich auch Sex. Oder hab geknutscht. Manchen habe ich tiefe Geheimnisse erzählt, andere um Rat für meine Steuererklärung gefragt. Familie, Freunde, One-Night-Stands, Relationship-Material? Es würde schon funktionieren, ich könnte jeder Person einen dieser Stempel aufdrücken. Und es ist auch viel einfacher so, zur Einordnung. So wissen andere Bescheid, in welchem Verhältnis ich zu wem stehe. Schließlich will ich nicht jedes Mal eine Stunde ausholen, um zu erklären wer Person XY ist. Hat auch niemand Zeit für.
Trotzdem stellt sich mir die Frage: Was war zuerst da, das Label oder die Labelbeschreibung? Für die Generationen vor uns funktioniert die Welt oft nun mal so: Familie, Freunde, Partner. Wir brechen das auf. Weil wir es wollen, und auch können. Mittlerweile flattern noch viel mehr Labels umher: Situationship, Freundschaft Plus, Ersatzfamilie. Ein Versuch, Nischen zu finden, in dem eingerosteten System. Aber auch wieder ein Versuch, die Dinge zu benennen. Wieso können wir nicht mit den Erwartungen und Wünschen starten, die wir gegenüber einer anderen Person haben. Und vielleicht auch mit den Ängsten. Das braucht viel Mut und Überwindung, aber es fühlt sich auch gut an. Darauf lässt sich besser aufbauen als auf einem Label.
Großes Aber: Kommunikation ist einfach verdammt hart. Und ganz ehrlich? Mir fällt es auch immer noch schwer. Aber ich bin ja auch Teil der Generation Beziehungsunfähig. Wie soll es anders sein? Sein Innerstes nach außen zu kehren ohne Rücksicht auf Verluste, das haben wir in der Kindheit und Jugend nicht gelernt. Wer hätte es uns beibringen sollen? Richtig, die Generationen vor uns. Mission failed. Danke dafür.
Letztes Jahr habe ich gelernt, dass gewisse Rahmenbedingungen, label, if you will, auch helfen können. Und ja, vor allem in zwischenmenschlichen Beziehungen, in der emotionale auf körperliche Anziehung trifft. Es hilft uns im Umgang miteinander. Aber ich will kein Wort dafür finden müssen. Nur damit andere wissen, was ich da veranstalte. Ich möchte mit der Person in den Austausch darüber treten, wie ich mir das Leben und alles drumherum vorstelle. Und wie sie es sich vorstellt. Und dann trifft man sich irgendwo. Wir können das, ich weiß das. Lasst unsere Generation so sein, wie sie eben ist. Zwischen sozialen Netzwerken, unendlich vielen Möglichkeiten und ständiger Überforderung.
No offense, ich bin mir sicher, dass Menschen aus anderen Generationen, die eher die „klassischeren“ Formen von Beziehungen führen, sich auch austauschen. Und darüber reden, was sie wollen. Aber unsere Generation hat das perfektioniert. Schließlich sind wir Selbstoptimierer. Das heißt aber nicht immer, dass wir einfach nur auf etwas Besseres warten. Sondern auch, dass wir versuchen, etwas Besseres zu schaffen, indem wir neu ansetzen. Da wo es wehtut. Da wo unsere Unsicherheiten sitzen.
Das, was uns anscheinend beziehungsunfähig macht, macht uns erst beziehungsfähig. Egal ob mit einer Person, mit mehreren Personen, zum Kuscheln, zum Vögeln, zum Kinder haben, zum zusammen Wohnen, zum Knutschen oder was auch immer. Wir kriegen das schon hin. Ehrlich.
Wer hat diese Seite mit Inhalt gefüllt?
Annika ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Klima, Popkultur und zwischenmenschliche Beziehungen.