„Queere Räume sind eben häufig sehr fragil“
mit Ana Rodriguez Bisbicus – Constellations Festival
Interview von Marissa Boll
Raumknappheit und Verdrängung sind seit längerem ein Problem – nicht nur in Berlin. Besonders darunter zu leiden haben Räume marginalisierter Menschen. Viele Räume queerer Selbstorganisation verschwinden aus dem Stadtbild und oft auch aus dem kollektiven Gedächtnis. Constellations ist ein Festival, das im März in Berlin stattgefunden hat. Das Ziel: queere Räume feiern, die nicht mehr existieren. ZWEINULLVIER-Redakteurin Marissa hat mit Ana Rodriguez Bisbicus gesprochen, die das Festival mitkuratiert hat.
Foto: constellations
ZWEINULLVIER: Mit welchem Ziel habt ihr das Festival ins Leben gerufen?
ANA: Uns ging es darum ein Archiv anzulegen, wo Menschen ihre Geschichten erzählen und diese Räume aus ihren persönlichen Erfahrungen heraus beschreiben. Gerade ist es so, dass wir eine Webseite haben, auf der Hörbilder abgerufen werden können und wir weiterführendes Material bereitstellen. Die Idee ist, dass immer wieder neue Räume dazu kommen. Das Festival selbst wurde geschaffen, um diese Räume wieder performativ zu aktivieren. Also das eine Person aus dem Jetzt an diesen Ort geht und darauf antwortet. Es soll nicht nur bei einem Hörbild auf der Webseite bleiben, sondern auch ein gemeinsames Zuhören im Moment entstehen. In der Stadt, wo Leute sich an diesem Ort versammeln und sich das gemeinsam anhören.
ZWEINULLVIER: Das Constellations Festival will queere Räume feiern, die nicht mehr existieren. Wie seid ihr auf das Thema gekommen?
ANA RODRIGUEZ BISBICUS: Constellations wurde ins Leben gerufen, um queere Räume in der Stadt zu zelebrieren und ihre Geschichten zu sammeln. Außerdem wollten wir mit Akteur*innen reden, die diese Räume gestaltet haben. Wir wollten herausfinden, was von diesen Räumen übrig ist? Wie erinnern sich Leute daran? Was sind Gründe für das Verschwinden? Aber auch: welche Netzwerke sind davon geblieben?
ZWEINULLVIER: Wie seid ihr auf die Orte gekommen, die am Ende im Festivalprogramm repräsentiert wurden?
ANA: Es war von Anfang an klar, dass wir nicht alles abdecken können. Es gibt auf jeden Fall einen Fokus auf BIPOC Spaces in Berlin. Und es gibt einen Raum, der schon ziemlich weit in der Vergangenheit liegt, wo es sehr schwierig war oral histories zu finden. Das war das Magnus-Hirschfeld-Institut, das von den Nazis 1933 zerstört wurde. Wir hatten auch ein Event mit Christiane Seefeld. Ihre Wohnung war zu DDR-Zeiten ein Treffpunkt für queere Personen, weil sie sich im öffentlichen Raum nicht treffen konnten. Das Thema war uns wichtig, weil viele Leute aus meiner Generation wirklich gar nicht mehr wissen, was da stattgefunden hat. Die Veranstaltung ist mir in Erinnerung geblieben, da sie wirklich sehr viel zu dieser Wohnung zu erzählen hatte und das sehr gerne gemacht hat. Da ging es viel um die Frage, was passiert, wenn es aufgrund von Restriktionen im öffentlichen Raum keine Möglichkeiten gibt, sich zu versammeln. Und wie dann der private Raum plötzlich sehr wichtig wird.
ZWEINULLVIER: Welche Herausforderungen gab es während der Organisation, mit denen ihr nicht gerechnet habt?
ANA: Davon gab es einige. Zum Teil konnten wir keine Leute finden, die über die Räume erzählen konnten. Ein weiteres Problem ist, dass es kaum Archivierung gibt, und wir so nur wenige Informationen hatten. Wir haben mit dem Archiv vom Schwulen Museum zusammengearbeitet und ich habe dort sehr viel Zeit verbracht. Es ist eigentlich toll, dass es das gibt. Aber das Problem dort ist wiederum, dass die Kategorisierung von den Dingen, die da sind, sehr schlecht ist. Also in Bezug auf queere BIPOC-Räume hatte ich das Glück, dass ich die Recherchebox von jemandem bekommen habe, der sich die Arbeit mit der Kategorisierung schon gemacht hatte. Aber wenn du das in der Suchfunktion im Katalog eingibst, findet man relativ wenig.
ZWEINULLVIER: Wie waren die Reaktionen in der Community auf euer Festival?
ANA: Wir hatten wirklich viele Leute bei den ganzen Events und es gab sehr viel Feedback dazu, dass die Leute viele Räume gar nicht kannten. Mir hat das gezeigt, dass es ein Bedürfnis gibt, so eine Art von Programm zu haben. Manche Leute meinten auch, dass die Geschichten so nicht stimmen. Das ist eben der Punkt, wenn man mit oral history arbeitet. Die Leute haben die Geschichte über den Raum erzählt, so wie sie es selbst erfahren haben. Deswegen war es eigentlich relativ klar, dass Leute kommen und sagen würden, dass sie es anders erlebt haben. Es war aber eigentlich voll schön, dass dann so ein Austausch stattgefunden hat.
ZWEINULLVIER: Versteht sich Constellations auch als politisches Projekt?
ANA: Ich denke, in irgendeiner Art und Weise ist es ja schon politisch. Schließlich beschäftigen wir uns mit der Erinnerung und dem Gedenken an queere Räume. Es war aber eher ein Forschungs- und Rechercheprojekt aus der Community heraus. Also in unserem Team haben nur queere Personen gearbeitet. Also vieles wurde gar nicht von uns selbst recherchiert, sondern von Leuten, die viel, viel tiefer in diesem Thema drin waren. Und das war ziemlich cool, weil so ein Netzwerk entstanden ist aus Leuten, die an verschiedenen Sachen gearbeitet haben. Und nur so konnte dieses Festival und dieses Projekt entstehen.
ZWEINULLVIER: Was sind Probleme, von denen queere Orte in Berlin heute bedroht werden? Gibt es da Parallelen zur Vergangenheit?
ANA: Sehr viele der Themen haben bereits in der Vergangenheit eine Rolle gespielt. Queere Räume sind eben häufig sehr fragil, die verschwinden einfach schnell. Oft ist ein Grund, dass die Miete nicht bezahlt werden kann oder gekündigt wird. Aber es liegt auch daran, dass Leute wegziehen oder dass die Organisation dieser Räume nicht fortgesetzt werden kann, weil Leute ausgebrannt sind. Und ich glaube, das sind Sachen, die auch auf viele queere Räume heute zutreffen.
ZWEINULLVIER: Gibt es noch weitere Orte in Berlin, die ihr gerne ins Programm aufgenommen hättet? Und wird es eine weitere Ausgabe des Festivals geben?
ANA: Ja, wir planen eine weitere Ausgabe des Festivals. Und es gibt noch super viele Räume, die nicht reingekommen sind. Im Rahmen dieses Projektes fand auch ein Seminar statt an der TU Berlin, wo Studierende sich auch mit queeren Räumen in der Stadt beschäftigt haben. Und die sind auch super interessant. Und einige von denen werden auch ins Archiv kommen. Also auf unsere Website.
Wer hat diese Seite mit Inhalt gefüllt?
Marissa ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Popkultur, Feminismus und Gesellschaft.
„Queere Räume sind eben häufig sehr fragil“
mit Ana Rodriguez Bisbicus – Constellations Festival
Interview von Marissa Boll
Raumknappheit und Verdrängung sind seit längerem ein Problem – nicht nur in Berlin. Besonders darunter zu leiden haben Räume marginalisierter Menschen. Viele Räume queerer Selbstorganisation verschwinden aus dem Stadtbild und oft auch aus dem kollektiven Gedächtnis. Constellations ist ein Festival, das im März in Berlin stattgefunden hat. Das Ziel: queere Räume feiern, die nicht mehr existieren. ZWEINULLVIER-Redakteurin Marissa hat mit Ana Rodriguez Bisbicus gesprochen, die das Festival mitkuratiert hat.
Foto: constellations
ZWEINULLVIER: Mit welchem Ziel habt ihr das Festival ins Leben gerufen?
ANA: Uns ging es darum ein Archiv anzulegen, wo Menschen ihre Geschichten erzählen und diese Räume aus ihren persönlichen Erfahrungen heraus beschreiben. Gerade ist es so, dass wir eine Webseite haben, auf der Hörbilder abgerufen werden können und wir weiterführendes Material bereitstellen. Die Idee ist, dass immer wieder neue Räume dazu kommen. Das Festival selbst wurde geschaffen, um diese Räume wieder performativ zu aktivieren. Also das eine Person aus dem Jetzt an diesen Ort geht und darauf antwortet. Es soll nicht nur bei einem Hörbild auf der Webseite bleiben, sondern auch ein gemeinsames Zuhören im Moment entstehen. In der Stadt, wo Leute sich an diesem Ort versammeln und sich das gemeinsam anhören.
ZWEINULLVIER: Das Constellations Festival will queere Räume feiern, die nicht mehr existieren. Wie seid ihr auf das Thema gekommen?
ANA RODRIGUEZ BISBICUS: Constellations wurde ins Leben gerufen, um queere Räume in der Stadt zu zelebrieren und ihre Geschichten zu sammeln. Außerdem wollten wir mit Akteur*innen reden, die diese Räume gestaltet haben. Wir wollten herausfinden, was von diesen Räumen übrig ist? Wie erinnern sich Leute daran? Was sind Gründe für das Verschwinden? Aber auch: welche Netzwerke sind davon geblieben?
ZWEINULLVIER: Wie seid ihr auf die Orte gekommen, die am Ende im Festivalprogramm repräsentiert wurden?
ANA: Es war von Anfang an klar, dass wir nicht alles abdecken können. Es gibt auf jeden Fall einen Fokus auf BIPOC Spaces in Berlin. Und es gibt einen Raum, der schon ziemlich weit in der Vergangenheit liegt, wo es sehr schwierig war oral histories zu finden. Das war das Magnus-Hirschfeld-Institut, das von den Nazis 1933 zerstört wurde. Wir hatten auch ein Event mit Christiane Seefeld. Ihre Wohnung war zu DDR-Zeiten ein Treffpunkt für queere Personen, weil sie sich im öffentlichen Raum nicht treffen konnten. Das Thema war uns wichtig, weil viele Leute aus meiner Generation wirklich gar nicht mehr wissen, was da stattgefunden hat. Die Veranstaltung ist mir in Erinnerung geblieben, da sie wirklich sehr viel zu dieser Wohnung zu erzählen hatte und das sehr gerne gemacht hat. Da ging es viel um die Frage, was passiert, wenn es aufgrund von Restriktionen im öffentlichen Raum keine Möglichkeiten gibt, sich zu versammeln. Und wie dann der private Raum plötzlich sehr wichtig wird.
ZWEINULLVIER: Welche Herausforderungen gab es während der Organisation, mit denen ihr nicht gerechnet habt?
ANA: Davon gab es einige. Zum Teil konnten wir keine Leute finden, die über die Räume erzählen konnten. Ein weiteres Problem ist, dass es kaum Archivierung gibt, und wir so nur wenige Informationen hatten. Wir haben mit dem Archiv vom Schwulen Museum zusammengearbeitet und ich habe dort sehr viel Zeit verbracht. Es ist eigentlich toll, dass es das gibt. Aber das Problem dort ist wiederum, dass die Kategorisierung von den Dingen, die da sind, sehr schlecht ist. Also in Bezug auf queere BIPOC-Räume hatte ich das Glück, dass ich die Recherchebox von jemandem bekommen habe, der sich die Arbeit mit der Kategorisierung schon gemacht hatte. Aber wenn du das in der Suchfunktion im Katalog eingibst, findet man relativ wenig.
ZWEINULLVIER: Wie waren die Reaktionen in der Community auf euer Festival?
ANA: Wir hatten wirklich viele Leute bei den ganzen Events und es gab sehr viel Feedback dazu, dass die Leute viele Räume gar nicht kannten. Mir hat das gezeigt, dass es ein Bedürfnis gibt, so eine Art von Programm zu haben. Manche Leute meinten auch, dass die Geschichten so nicht stimmen. Das ist eben der Punkt, wenn man mit oral history arbeitet. Die Leute haben die Geschichte über den Raum erzählt, so wie sie es selbst erfahren haben. Deswegen war es eigentlich relativ klar, dass Leute kommen und sagen würden, dass sie es anders erlebt haben. Es war aber eigentlich voll schön, dass dann so ein Austausch stattgefunden hat.
ZWEINULLVIER: Versteht sich Constellations auch als politisches Projekt?
ANA: Ich denke, in irgendeiner Art und Weise ist es ja schon politisch. Schließlich beschäftigen wir uns mit der Erinnerung und dem Gedenken an queere Räume. Es war aber eher ein Forschungs- und Rechercheprojekt aus der Community heraus. Also in unserem Team haben nur queere Personen gearbeitet. Also vieles wurde gar nicht von uns selbst recherchiert, sondern von Leuten, die viel, viel tiefer in diesem Thema drin waren. Und das war ziemlich cool, weil so ein Netzwerk entstanden ist aus Leuten, die an verschiedenen Sachen gearbeitet haben. Und nur so konnte dieses Festival und dieses Projekt entstehen.
ZWEINULLVIER: Was sind Probleme, von denen queere Orte in Berlin heute bedroht werden? Gibt es da Parallelen zur Vergangenheit?
ANA: Sehr viele der Themen haben bereits in der Vergangenheit eine Rolle gespielt. Queere Räume sind eben häufig sehr fragil, die verschwinden einfach schnell. Oft ist ein Grund, dass die Miete nicht bezahlt werden kann oder gekündigt wird. Aber es liegt auch daran, dass Leute wegziehen oder dass die Organisation dieser Räume nicht fortgesetzt werden kann, weil Leute ausgebrannt sind. Und ich glaube, das sind Sachen, die auch auf viele queere Räume heute zutreffen.
ZWEINULLVIER: Gibt es noch weitere Orte in Berlin, die ihr gerne ins Programm aufgenommen hättet? Und wird es eine weitere Ausgabe des Festivals geben?
ANA: Ja, wir planen eine weitere Ausgabe des Festivals. Und es gibt noch super viele Räume, die nicht reingekommen sind. Im Rahmen dieses Projektes fand auch ein Seminar statt an der TU Berlin, wo Studierende sich auch mit queeren Räumen in der Stadt beschäftigt haben. Und die sind auch super interessant. Und einige von denen werden auch ins Archiv kommen. Also auf unsere Website.
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Marissa ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Popkultur, Feminismus und Gesellschaft.