Wenn Jung und Alt wieder unter einem Dach wohnen
Das Konzept vom Mehrgenerationenwohnen
Artikel von Naomi Stiegelmaier
Das Zusammenleben von mehreren Generationen ist heute untypisch. Manche Menschen entscheiden sich aber bewusst dazu. So wie Helga, Franz und Oliver.
Foto: pixabay
In Deutschland gab es im Jahr 2022 ungefähr 17 Millionen Single-Haushalte. Viele Personen können sich vorstellen ohne Partner alt zu werden. Denkt man aber ans Alt werden, geht damit eine Frage einher: Wenn ich alt und allein bin, wer hilft mir dann?
Früher war es üblich, dass mehrere Generationen zusammen oder zumindest sehr nah beieinander gewohnt haben. Eltern, Großeltern und Kinder lebten unter einem Dach. Das gibt es auch heute noch. Üblich ist es allerdings nicht mehr. Was für die einen sicher Nachteile mit sich brachte, lieferte den anderen viele Vorteile. So war es für viele Eltern möglich Vollzeit arbeiten zu gehen, wenn die Großeltern auf die Kinder aufpassen konnten. Die Großeltern wiederum profitierten davon, dass die Jüngeren ihnen zur Hand gingen, bei Garten- und Haushaltsarbeit zum Beispiel. Abgesehen von der geteilten Arbeit können verschiedene Generationen außerdem voneinander lernen.
Laut statistischem Bundesamt wird im Jahr 2040 jeder vierte Mensch allein leben. Einige Menschen wirken dem Trend aber entgegen und entscheiden sich für das „Mehrgenerationenwohnen“. Im Gegensatz zu Mehrgenerationenhäusern, die nur als offene Treffpunkte für Menschen in der Nachbarschaft agieren, lebt man beim „Mehrgenerationenwohnen“ zusammen. In den USA wird diese Art des Zusammenlebens immer beliebter, auch in Deutschland etabliert es sich langsam.
Das Konzept „Mehrgenerationenwohnen“
Ganz in der Nähe von Leipzig, in dem kleinen Vorort Lindennauendorf, ist eine Hofgemeinschaft entstanden, in der mehrere Generationen zusammenleben. Die Vision alles unter einem Dach zu haben, hatten die Gründerinnen Monika Schmidt und ihre Tochter Sina Gado. In freier Trägerschaft für das Jugendamt Leipzig eröffneten die beiden mehrere Wohngemeinschaften für Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr bei ihren Eltern wohnen können und von Pädagog:innen betreut werden. 2013 kauften sie dann einen Vierseitenhof in Lindennauendorf, wo heute die Kinder-Wohngemeinschaft „MAXI“ und die Hofgemeinschaft leben.
Das Konzept der Hofgemeinschaft ist recht simpel: Auf dem Grundstück leben junge Familien, Rentner und Kinder zusammen. Jeder hat seine eigene Wohnung, aber es gibt viele gemeinschaftliche Treffpunkte und die Bewohner:innen helfen sich. Seit 2021 gibt es einen großen Gemeinschaftsraum für Weihnachtsfeiern oder gemeinsames Kochen. Bewohner:innen können auf dem Grundstück außerdem zusammen gärtnern oder draußen einfach zusammen essen.
Rentnerin Helga und Ehemann Franz leben seit über sieben Jahren auf dem Hof. „Als die Kinder aus dem Haus waren, haben wir überlegt, was machen wir denn jetzt? Wir wollten im Alter nicht allein leben und haben uns dann 2-3 Sachen angeschaut und sind dann hier hängen geblieben.“ Einmal im Monat gibt es ein Treffen. Dort wird über das Zusammenleben gesprochen, und die Kinder. „Einmal im Monat gibt es dann eine gemeinsame Aktion: Wandern, in den Zoo gehen oder einen Spielenachmittag veranstalten.“, erzählt Helga.
Auch der 33-jährige Sozialarbeiter Oliver wohnt seit ein paar Jahren mit seiner Frau und ihrer gemeinsamen Tochter auf dem Hof. Früher hat die Familie in der Stadt gelebt, laut Oliver war das viel anonymer: „Du kennst einfach jede Person auf dem Hof, mit seinen Stärken und Schwächen. Du hast hier viel Kontakt, du lädst dich zum Essen ein und die Kinder können zusammen spielen. Außerdem liegt der Hof mitten in der Natur und die Stadt ist trotzdem nur 15 Minuten entfernt.“
Die drei betonen immer wieder: Die Gemeinschaft macht den Hof besonders. Jeder könne seine Ideen einbringen und Sachen ausprobieren, erzählt Oliver: „Ich war vorher handwerklich nicht wirklich begabt, aber wir haben dann zusammen den Pavillon draußen gebaut. Es wird dir etwas zugetraut. Man kann einfach machen und sich entfalten.“
Der Hof befindet sich auf einem 20.000 Hektar großen Gelände. Neben dem Hof an sich gibt es einen kleinen Teich, viele Wiesen und Bäume drum herum, kleine Gärten mit Hühnern und Stellplätze für Wohnmobile. Man kann dort nämlich auch campen. Stück für Stück wird der Hof immer weiter saniert und teilweise bleibt die Fassade der alten Scheunen erhalten. „Wir schmeißen fast nichts weg, der Hofflair soll erhalten bleiben.“, sagt Rentner Franz.
Das große Grundstück umfasst unter anderem auch einen Garten mit Hühnern.
Foto: Naomi Stiegelmaier
„Jede:r hat hier eine Aufgabe“
Wer auf dem Hof leben will, muss vorerst drei Wochen zur Probe wohnen. Danach entscheiden die Bewohner:innen ob die Interessenten einziehen dürfen oder nicht. Wichtig ist, dass sich die dort lebenden Personen in die Gemeinschaft einbringen. Wer Ruhe will, sei hier falsch: „Am Hof ist immer was los. Wenn wir Info-Nachmittage haben und ältere Menschen kommen, die explizit Ruhe suchen dann ist das schwierig. Klar kann man auch mal seine Ruhe haben aber eben nicht ausschließlich. Das ist hier eben kein Altersheim.“
Wichtig für die Gemeinschaft sei die Kommunikation. Franz erzählt: „Es ist auch nicht immer nur Sonnenschein. Natürlich gibt es hier auch mal Probleme. Wichtig ist es, dass man diese anspricht und bisher wurde so immer alles geklärt.“
Was laut Oliver alle zusammenhält, sind gemeinsame Projekte wie etwas zu bauen, den Garten zu pflegen oder eben die Ausflüge mit den Kindern aus der Wohngemeinschaft: „Jeder hat hier seine Aufgabe. Und das ist es glaube ich auch das, was gerade die Älteren schätzen. Das hält dich fit.“
Die drei bereuen es keine Sekunde auf den Hof gezogen zu sein. Es sei ein Unterschied mit der eigenen Familie zusammen wohnen zu müssen oder sich bewusst dafür zu entscheiden. Und das haben die Bewohner:innen des Hofes in Lindennauendorf auf jeden Fall getan.
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Naomi ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Gesellschaft und Popkultur.
Wenn Jung und Alt wieder unter einem Dach wohnen
Das Konzept vom Mehrgenerationenwohnen
Artikel von Naomi Stiegelmaier
Das Zusammenleben von mehreren Generationen ist heute untypisch. Manche Menschen entscheiden sich aber bewusst dazu. So wie Helga, Franz und Oliver.
Franz, Helga, Oliver und Selma leben schon länger auf dem Hof.
Foto: Naomi Stiegelmaier
In Deutschland gab es im Jahr 2022 ungefähr 17 Millionen Single-Haushalte. Viele Personen können sich vorstellen ohne Partner alt zu werden. Denkt man aber ans Alt werden, geht damit eine Frage einher: Wenn ich alt und allein bin, wer hilft mir dann?
Früher war es üblich, dass mehrere Generationen zusammen oder zumindest sehr nah beieinander gewohnt haben. Eltern, Großeltern und Kinder lebten unter einem Dach. Das gibt es auch heute noch. Üblich ist es allerdings nicht mehr. Was für die einen sicher Nachteile mit sich brachte, lieferte den anderen viele Vorteile. So war es für viele Eltern möglich Vollzeit arbeiten zu gehen, wenn die Großeltern auf die Kinder aufpassen konnten. Die Großeltern wiederum profitierten davon, dass die Jüngeren ihnen zur Hand gingen, bei Garten- und Haushaltsarbeit zum Beispiel. Abgesehen von der geteilten Arbeit können verschiedene Generationen außerdem voneinander lernen.
Laut statistischem Bundesamt wird im Jahr 2040 jeder vierte Mensch allein leben. Einige Menschen wirken dem Trend aber entgegen und entscheiden sich für das „Mehrgenerationenwohnen“. Im Gegensatz zu Mehrgenerationenhäusern, die nur als offene Treffpunkte für Menschen in der Nachbarschaft agieren, lebt man beim „Mehrgenerationenwohnen“ zusammen. In den USA wird diese Art des Zusammenlebens immer beliebter, auch in Deutschland etabliert es sich langsam.
Das Konzept „Mehrgenerationenwohnen“
Ganz in der Nähe von Leipzig, in dem kleinen Vorort Lindennauendorf, ist eine Hofgemeinschaft entstanden, in der mehrere Generationen zusammenleben. Die Vision alles unter einem Dach zu haben, hatten die Gründerinnen Monika Schmidt und ihre Tochter Sina Gado. In freier Trägerschaft für das Jugendamt Leipzig eröffneten die beiden mehrere Wohngemeinschaften für Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr bei ihren Eltern wohnen können und von Pädagog:innen betreut werden. 2013 kauften sie dann einen Vierseitenhof in Lindennauendorf, wo heute die Kinder-Wohngemeinschaft „MAXI“ und die Hofgemeinschaft leben.
Das Konzept der Hofgemeinschaft ist recht simpel: Auf dem Grundstück leben junge Familien, Rentner und Kinder zusammen. Jeder hat seine eigene Wohnung, aber es gibt viele gemeinschaftliche Treffpunkte und die Bewohner:innen helfen sich. Seit 2021 gibt es einen großen Gemeinschaftsraum für Weihnachtsfeiern oder gemeinsames Kochen. Bewohner:innen können auf dem Grundstück außerdem zusammen gärtnern oder draußen einfach zusammen essen.
Rentnerin Helga und Ehemann Franz leben seit über sieben Jahren auf dem Hof. „Als die Kinder aus dem Haus waren, haben wir überlegt, was machen wir denn jetzt? Wir wollten im Alter nicht allein leben und haben uns dann 2-3 Sachen angeschaut und sind dann hier hängen geblieben.“ Einmal im Monat gibt es ein Treffen. Dort wird über das Zusammenleben gesprochen, und die Kinder. „Einmal im Monat gibt es dann eine gemeinsame Aktion: Wandern, in den Zoo gehen oder einen Spielenachmittag veranstalten.“, erzählt Helga.
Auch der 33-jährige Sozialarbeiter Oliver wohnt seit ein paar Jahren mit seiner Frau und ihrer gemeinsamen Tochter auf dem Hof. Früher hat die Familie in der Stadt gelebt, laut Oliver war das viel anonymer: „Du kennst einfach jede Person auf dem Hof, mit seinen Stärken und Schwächen. Du hast hier viel Kontakt, du lädst dich zum Essen ein und die Kinder können zusammen spielen. Außerdem liegt der Hof mitten in der Natur und die Stadt ist trotzdem nur 15 Minuten entfernt.“
Die drei betonen immer wieder: Die Gemeinschaft macht den Hof besonders. Jeder könne seine Ideen einbringen und Sachen ausprobieren, erzählt Oliver: „Ich war vorher handwerklich nicht wirklich begabt, aber wir haben dann zusammen den Pavillon draußen gebaut. Es wird dir etwas zugetraut. Man kann einfach machen und sich entfalten.“
Der Hof befindet sich auf einem 20.000 Hektar großen Gelände. Neben dem Hof an sich gibt es einen kleinen Teich, viele Wiesen und Bäume drum herum, kleine Gärten mit Hühnern und Stellplätze für Wohnmobile. Man kann dort nämlich auch campen. Stück für Stück wird der Hof immer weiter saniert und teilweise bleibt die Fassade der alten Scheunen erhalten. „Wir schmeißen fast nichts weg, der Hofflair soll erhalten bleiben.“, sagt Rentner Franz.
Das große Grundstück umfasst unter anderem auch einen Garten mit Hühnern.
Foto: Naomi Stiegelmaier
„Jede:r hat hier eine Aufgabe“
Wer auf dem Hof leben will, muss vorerst drei Wochen zur Probe wohnen. Danach entscheiden die Bewohner:innen ob die Interessenten einziehen dürfen oder nicht. Wichtig ist, dass sich die dort lebenden Personen in die Gemeinschaft einbringen. Wer Ruhe will, sei hier falsch: „Am Hof ist immer was los. Wenn wir Info-Nachmittage haben und ältere Menschen kommen, die explizit Ruhe suchen dann ist das schwierig. Klar kann man auch mal seine Ruhe haben aber eben nicht ausschließlich. Das ist hier eben kein Altersheim.“
Wichtig für die Gemeinschaft sei die Kommunikation. Franz erzählt: „Es ist auch nicht immer nur Sonnenschein. Natürlich gibt es hier auch mal Probleme. Wichtig ist es, dass man diese anspricht und bisher wurde so immer alles geklärt.“
Was laut Oliver alle zusammenhält, sind gemeinsame Projekte wie etwas zu bauen, den Garten zu pflegen oder eben die Ausflüge mit den Kindern aus der Wohngemeinschaft: „Jeder hat hier seine Aufgabe. Und das ist es glaube ich auch das, was gerade die Älteren schätzen. Das hält dich fit.“
Die drei bereuen es keine Sekunde auf den Hof gezogen zu sein. Es sei ein Unterschied mit der eigenen Familie zusammen wohnen zu müssen oder sich bewusst dafür zu entscheiden. Und das haben die Bewohner:innen des Hofes in Lindennauendorf auf jeden Fall getan.
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Naomi ist Gründungsmitglied von ZWEINULLVIER und schreibt gerne über Gesellschaft und Popkultur.